Moralpanik: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Moralpanik''' ist ein mediensoziologischer Begriff. Er bezeichnet ein schnell wachsendes und maßlos übertriebenes öffentliches Interesse an einem Thema (einer Bedrohung), das von '''Moralunternehmern''' ''(moral entrepreneurs)'' erzeugt wird, und »ein Eigenleben entwickeln kann, indem die absurden Behauptungen von gestern die Grundlage für noch absurdere Behauptungen von heute bilden, und Aktivisten um die Aufmerksamkeit abgestumpfter Massenmedien konkurrieren, die immer höhere Schockwerte einfordern.« (Philip Jenkins)<ref>''Moral panic'', 1998, S.7</ref>
'''Moralpanik''' (moral panic) bezeichnet ein schnell wachsendes und maßlos übertriebenes öffentliches Interesse an einem Thema, einer »Bedrohung«, das von Moralunternehmern (moral entrepreneurs) erzeugt wird, und »ein Eigenleben entwickeln kann, in dem die absurden Behauptungen von gestern die Grundlage für noch absurdere Behauptungen von heute bilden, und Aktivisten um die Aufmerksamkeit abgestumpfter Massenmedien konkurrieren, die immer höhere Schockwerte einfordern.«<ref>Jenkins, Moral panic, p. NN.</ref>
Dies ist ein medien-soziologischer Begriff; er wurde in den 1970er Jahren von englischen Soziologen eingeführt, um die gesellschafliche Reaktion auf &ndash; aus den USA importierte &ndash; Bedrohungen zu beschreiben: Jugendbanden,<ref> Cohen, Stanley (1972). Folk Devils and Moral Panics. London: MacGibbon and Kee  </ref> und Straßenraub.<ref> </ref> Als solcher fragt er nicht nach der zugrundeliegenden Realität, sondern geht davon aus, daß dem Zustand, der Episode oder Gruppe, die zum Problem wurden, »eine Definition widerfährt, wonach sie gesellschaftliche Werte oder Interessen bedrohen« (Stanley Cohen), und daß es für die gesellschaftliche Realität einer Moralpanik auf die zugrundeliegenden »Tatsachen« überhaupt nicht ankommt.<ref>Tatsächlich scheinen reale Probleme sich kaum je für eine mediale Kampagne zu eigen; für Schetsche (irgendwo) sind die (verwandten) »sozialen Probleme« per se fiktiv.</ref>


Charakterisiert ist eine Moralpanik nach Stuart Hall<ref>''Mugging'', 1978</ref> unter anderem durch:
Stuart Hall führt folgende Merkmale auf:  
* eine offizielle Reaktion auf Personen oder Ereignisse, die völlig außer Verhältnis zu der davon ausgehenden Bedrohung ist,
* eine offizielle Reaktion auf Personen oder Ereignisse, die in keinem Verhältnis zu der von ihnen ausgehenden Bedrohung steht,  
*»Experten«, die »wie mit einer Stimme« zu sprechen scheinen,
*»Experten«, die »wie mit einer Stimme« zu sprechen scheinen,  
* ein »Problem«, das »ständig und dramatisch« zu wachsen scheint und das immer wieder als »neu« dargestellt wird.
* ein »Problem«, das »ständig und dramatisch« zu wachsen scheint und das immer wieder als »neu« dargestellt wird.


Eine Moralpanik existiert in Grundsatz nur für eine begrenzte Zeit, dann wird sie Opfer der nächsten.
Während amerikanische Soziologen ihr Hauptaugenmerk auf psychologische Faktoren legen, thematisieren europäische Wissenschaftler Moralpanik eher vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umbrüche und Legitimationskrisen, etwa der des kapitalistischen Systems.


Vergleiche auch Schetsches Definition eines »sozialen Problems«.
== Beispiele ==
Bei Mirkin (...) findet sich die ''white slavery'' Panik als erstes Beispiel, dann die Homosexuellen-Panik, dann die Mißbrauchspanik. Letztere zeichnet sich durch ihr Überdauern aus, das ihr eine Sonderstellung einräumt (aber Rind et al. nennen vglw. Drogenpolitik). Wir kennen zahlreiche Subpaniken in der Mißbrauchspanik:
* ritueller Mißbrauch
* Kindergartenfälle
* usw.


Der britische Kriminalsoziologe Stanley Cohen prägte den Begriff 1972, um den öffentlichen Aufruhr und die mediale Brandmarkung zweier Gangs der Londoner Jugendsubkultur (Mods und Rockers) als ''folk devils'', gefährliche  Außenseiter, zu beschreiben, nachdem es Mitte der 1960er Jahre zu teils heftigen Straßenkämpfen zwischen beiden Gruppen gekommen war.


Stuart Hall thematisierte den Enfluß einer hochgezüchteten Kriminalitätsfurcht, ausgelöst durch ein typisch US-amerikanisches Phänomen bewaffneter Raubüberfälle, auf die britische Legislative.
===Sex als Katalysator===
===Governing through crime===
== Missbrauchspanik ==
...
Yvonne Jewkes merkt an, dass die Reaktionen bezüglich Pädophilie in der westlichen Welt als »die größte Moralpanik der letzten zwei Dekaden« bezeichnet worden ist.
== Anmerkungen ==
<references/>
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== Literatur ==


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* Cohen, Stanley (1972). ''Folk Devils and Moral Panics.'' London: MacGibbon and Kee
* Golbert, Valentin (2004). ''Innere Sicherheit in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten. Ausgewählte Aspekte des Verbrechensproblems im Spätkapitalismus, Real- und Postsozialismus.'' Diss. Uni Hamburg. http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=961770031&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=961770031.pdf
* Hall, Stuart et.al. (1978). ''Policing the Crisis. Mugging, the State, and Law and Order.'' London: Macmillan Publishers.
* Jenkins, Philip (1998). ''Moral Panic: Changing Concepts of the Child Molester in Modern America.'' New Haven, CT: Yale University Press. ISBN 0-3001-0963-6.
* Jewkes Y. (2004). ''Media and crime.'' Thousand Oaks, Calif: Sage. pp. 76–77. ISBN 0-7619-4765-5.
* Kutchinsky, Berl (1994). Mißbrauchspanik. Häufigkeit und Befund sexuellen Kindesmißbrauchs. In: Rutschky, Katharina & Wolff, Reinhart. ''Handbuch sexueller Mißbrauch''. Hamburg: Klein.
* Lautmann, Rüdiger (1996). Mißbrauch. Über Moralpolitik. ''Merkur, 50(9/10)'', 865-879
* Lautmann, Rüdiger (2002). ''Soziologie der Sexualität. Erotisches Körper, intimes Handeln und Sexualkultur.'' Weinheim, München: Juventa.
* Schetsche, Michael (1993). ''Das 'sexuell gefährdete Kind'. Kontinuität und Wandel eines sozialen Problems''. Pfaffenweiler: Centaurus.
* Torny, M. & Petersilia, J. (Eds.)(1999). Understanding Prison Policy and Population Trends. In: ''Prisons.'' Chicago & London: The University of Chicago Press, pp.63-120.

Aktuelle Version vom 9. Juni 2009, 18:47 Uhr

Moralpanik (moral panic) bezeichnet ein schnell wachsendes und maßlos übertriebenes öffentliches Interesse an einem Thema, einer »Bedrohung«, das von Moralunternehmern (moral entrepreneurs) erzeugt wird, und »ein Eigenleben entwickeln kann, in dem die absurden Behauptungen von gestern die Grundlage für noch absurdere Behauptungen von heute bilden, und Aktivisten um die Aufmerksamkeit abgestumpfter Massenmedien konkurrieren, die immer höhere Schockwerte einfordern.«[1] Dies ist ein medien-soziologischer Begriff; er wurde in den 1970er Jahren von englischen Soziologen eingeführt, um die gesellschafliche Reaktion auf – aus den USA importierte – Bedrohungen zu beschreiben: Jugendbanden,[2] und Straßenraub.Referenzfehler: Ungültige Verwendung von <ref>: Der Parameter „ref“ ohne Namen muss einen Inhalt haben. Als solcher fragt er nicht nach der zugrundeliegenden Realität, sondern geht davon aus, daß dem Zustand, der Episode oder Gruppe, die zum Problem wurden, »eine Definition widerfährt, wonach sie gesellschaftliche Werte oder Interessen bedrohen« (Stanley Cohen), und daß es für die gesellschaftliche Realität einer Moralpanik auf die zugrundeliegenden »Tatsachen« überhaupt nicht ankommt.[3]

Stuart Hall führt folgende Merkmale auf:

  • eine offizielle Reaktion auf Personen oder Ereignisse, die in keinem Verhältnis zu der von ihnen ausgehenden Bedrohung steht,
  • »Experten«, die »wie mit einer Stimme« zu sprechen scheinen,
  • ein »Problem«, das »ständig und dramatisch« zu wachsen scheint und das immer wieder als »neu« dargestellt wird.

Eine Moralpanik existiert in Grundsatz nur für eine begrenzte Zeit, dann wird sie Opfer der nächsten. Während amerikanische Soziologen ihr Hauptaugenmerk auf psychologische Faktoren legen, thematisieren europäische Wissenschaftler Moralpanik eher vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umbrüche und Legitimationskrisen, etwa der des kapitalistischen Systems.

Beispiele

Bei Mirkin (...) findet sich die white slavery Panik als erstes Beispiel, dann die Homosexuellen-Panik, dann die Mißbrauchspanik. Letztere zeichnet sich durch ihr Überdauern aus, das ihr eine Sonderstellung einräumt (aber Rind et al. nennen vglw. Drogenpolitik). Wir kennen zahlreiche Subpaniken in der Mißbrauchspanik:

  • ritueller Mißbrauch
  • Kindergartenfälle
  • usw.

Der britische Kriminalsoziologe Stanley Cohen prägte den Begriff 1972, um den öffentlichen Aufruhr und die mediale Brandmarkung zweier Gangs der Londoner Jugendsubkultur (Mods und Rockers) als folk devils, gefährliche Außenseiter, zu beschreiben, nachdem es Mitte der 1960er Jahre zu teils heftigen Straßenkämpfen zwischen beiden Gruppen gekommen war.

Stuart Hall thematisierte den Enfluß einer hochgezüchteten Kriminalitätsfurcht, ausgelöst durch ein typisch US-amerikanisches Phänomen bewaffneter Raubüberfälle, auf die britische Legislative.


Sex als Katalysator

Governing through crime

Missbrauchspanik

...

Yvonne Jewkes merkt an, dass die Reaktionen bezüglich Pädophilie in der westlichen Welt als »die größte Moralpanik der letzten zwei Dekaden« bezeichnet worden ist.

Anmerkungen

  1. Jenkins, Moral panic, p. NN.
  2. Cohen, Stanley (1972). Folk Devils and Moral Panics. London: MacGibbon and Kee
  3. Tatsächlich scheinen reale Probleme sich kaum je für eine mediale Kampagne zu eigen; für Schetsche (irgendwo) sind die (verwandten) »sozialen Probleme« per se fiktiv.

Literatur

  • Cohen, Stanley (1972). Folk Devils and Moral Panics. London: MacGibbon and Kee
  • Golbert, Valentin (2004). Innere Sicherheit in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten. Ausgewählte Aspekte des Verbrechensproblems im Spätkapitalismus, Real- und Postsozialismus. Diss. Uni Hamburg. http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=961770031&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=961770031.pdf
  • Hall, Stuart et.al. (1978). Policing the Crisis. Mugging, the State, and Law and Order. London: Macmillan Publishers.
  • Jenkins, Philip (1998). Moral Panic: Changing Concepts of the Child Molester in Modern America. New Haven, CT: Yale University Press. ISBN 0-3001-0963-6.
  • Jewkes Y. (2004). Media and crime. Thousand Oaks, Calif: Sage. pp. 76–77. ISBN 0-7619-4765-5.
  • Kutchinsky, Berl (1994). Mißbrauchspanik. Häufigkeit und Befund sexuellen Kindesmißbrauchs. In: Rutschky, Katharina & Wolff, Reinhart. Handbuch sexueller Mißbrauch. Hamburg: Klein.
  • Lautmann, Rüdiger (1996). Mißbrauch. Über Moralpolitik. Merkur, 50(9/10), 865-879
  • Lautmann, Rüdiger (2002). Soziologie der Sexualität. Erotisches Körper, intimes Handeln und Sexualkultur. Weinheim, München: Juventa.
  • Schetsche, Michael (1993). Das 'sexuell gefährdete Kind'. Kontinuität und Wandel eines sozialen Problems. Pfaffenweiler: Centaurus.
  • Torny, M. & Petersilia, J. (Eds.)(1999). Understanding Prison Policy and Population Trends. In: Prisons. Chicago & London: The University of Chicago Press, pp.63-120.